Der Gedanke
Ich find’s ja irgendwas zwischen lustig und befremdlich, wenn sich inzwischen vermehrt Leute über “Gästin” oder “Gäst*innen” aufregen.
Befremdlich, weil doch inzwischen allgemein bekannt sein sollte, dass das generische Maskulinum nicht funktioniert.12
Und lustig, weil gerade “Gästin” als weibliche Form von Gast schon im Wörterbuch der Gebrüder Grimm (erschienen 1854) als mindestens seit dem 16. Jh in Verwendung dokumentiert ist34 – also beileibe kein “neumodischer Kram”.
Die Anlässe
Das Thema ist bei mir derzeit wieder nach vorne genommen, weil ich im April und Mai wieder relativ viel mit älteren (älter als ich) weißen Heteros aus meinem familiären Umfeld zusammen war. Und ich finde es jedes mal aufs Neue erschreckend, wie viel Ignoranz – ja Ignoranz, nicht Unwissenheit – da herrscht. Das geht los mit “braucht’s doch nicht” bis hin zu Totalverweigerung der Art “wenn da gegendert wird, hör ich gleich auf zu lesen”.
Über die konkrete Ausgestaltung von geschlechtergerechter Sprache kann man geteilter Meinung sein – und ich würd’ mir auch schönere Lösung als Gendersternchen, -Doppelpunkt, -Gap oder Binnen-I wünschen, hab aber bisher nix besseres bei der Hand. Man kann das Problem auch ignorieren – von mir aus. Aber wenn das Problem schlichtweg geleugnet oder aktiv gegen eine Veränderung gearbeitet wird, geht mir die Hutschnur hoch.
Die Gespräche laufen meist sehr ähnlich ab: von “was soll der Schmarrn” und “das verhunzt die deutsche Sprache” über “Frauen sind doch mitgemeint” über “da gibt’s doch kein Problem, das ist alles nur konstruiert” bis hin zu “und dann erfinden sie auch noch Worte, die es gar nicht gibt – z.B. Gästin”. Die obigen Links sind das Futter für einige meiner Kernargumente in diesem Zusammenhang.
Ich hab da inzwischen wenig Verständnis. Das beste, was ich aber oft platzieren kann, ist: ja, ich kann akzeptieren, dass man über die konkrete sprachliche Ausgestaltung geteilter Meinung sein kann – aber ich kann nicht akzeptieren, dass behauptet wird, es gäbe da kein Problem.
Weitergehende Gedanken
Gästin beim ersten Hören oder lesen als befremdlich zu empfinden, ist ja durchaus OK, ging mir am Anfang auch so. Immerhin ist es seit gut 100 Jahren aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwunden, wie der Duden meint. Problematisch wird’s aus meiner Sicht dann, wenn es als krude Neuschöpfung von “Genderideologen” dargestellt wird und damit versucht wird, ein Problem als nicht-existent und Lösungsansätze als “neumodische Sprachverhunzung” darzustellen.
Und ja, Gerechtigkeit wird mit geschlechtergerechter Sprache alleine nicht geschaffen, da gehört viel mehr dazu. Der Ansatz, geschlechtergerechte Sprache als Allheilmittel darzustellen, ist aus meiner Sicht Teil des Versuchs von konservativ-reaktionärer Seite, das Problem kleinzureden, lächerlich zu machen, zu diskreditieren. Darauf sollten wir nicht reinfallen.
Genau sowenig ist es zielführend, es als Alibi zu nutzen, sich nicht um weitere Aspekte von Gleichberechtigung kümmern zu müssen. Wer das tut, hat m.E. nicht verstanden, worum es geht – oder verfolgt ganz andere Interessen. Sichtbar-Machen und gesehen werden ist in vielen Bereichen, in denen es um Diskriminierung geht, ein gutes Mittel, und für viele (wenn auch nicht alle) davon betroffenen Menschen wichtig. Und genau da kann Sprache ganz viel leisten, finde ich. Und man muss auch nicht eines nach dem anderen machen. Mann kann durchaus gleichzeitig konkrete Diskriminierungen angehen und geschlechtergerechte Sprache voran bringen. Es müssen ja nicht immer die gleichen Leute beides machen. Der eine kann sich für dieses einsetzen und die andere für jenes. Das einzig wichtige dabei ist aus meiner Sicht: sich nicht gegenseitig Steine in den Weg legen, sondern auf die gemeinsamen Ziele schaun. Und nicht auf die Nebelkerzen der Ewiggestrigen achten.