Was sind gute Definitionen von sexuellen Orientierungen – und was hat das mit Bi- und Pansexualität zu tun?

Anlass

Bi- & Pan-Fahne vor dem grünen Blätterdach eines Baumes

Immer wieder lese oder höre ich Definitionen von Bisexualität, die mich ärgern oder regelrecht auf die Palme bringen. Fast immer kommen sie von Menschen, die sich selbst nicht als bi bezeichnen. Was diese Definitionen in mir auslösen, hat mich nachdenklich gemacht, und nach und nach hat sich ein Bild ergeben.

Als konkretes Beispiel will ich eine Beschreibung von Bisexualität verwenden, die ich auf einem CSD 2019 vorgefunden habe.1 In einem Kontext, in dem es um Bisexualität, Pansexualität und weitere Begrifflichkeiten für sexuelle Orientierungen ging, wurde “bisexuell” so dargestellt:

Wenn Sie sich als Partner ausschließlich Männer und Frauen, nicht aber z.B. Transsexuelle oder geschlechtlich nicht eindeutige Menschen vorstellen können, …

Mehrere Aspekte finde ich daran problematisch:

  • Die Definition ignoriert die Offenheit und Inklusivität gegenüber verschiedenen Formen von Geschlechtsidentitäten, die im Selbstverständnis vieler bisexueller Menschen schon lange – mindestens seit dem Bisexual Manifesto von 1990 – vorhanden war.2
  • Sie reproduziert eines der gängigen Vorurteile über Bisexualität, dass sie alles, was es außer cis Männern und cis Frauen noch gibt, ausschließen würde.
  • Sie ist transfeindlich.
  • Sie ist übergriffig gegenüber Bisexuellen.

Die Transfeindlichkeit manifestiert sich für mich darin, dass die Formulierung impliziert, trans Frauen wären keine Frauen und trans Männer keine Männer.

Den Übergriff sehe ich darin, dass jemand, der sich selbst nicht als bi definiert, versucht, Bisexuellen eine Definition von Bisexualität aufzudrücken, die für die viele (so ziemlich alle, die ich kenne) nicht mit ihrem eigenen Verständnis von Bisexualität konform ist und der seit Jahrzehnten immer wieder widersprochen wird.

Die These

Das bringt mich zu einem weiterführenden Gedanken, der sich für mich in den vergangenen Monaten immer weiter konkretisiert hat:

Nur Definitionen von sexuellen Orientierungen, die sich rein aus positiven Aspekten heraus selbst tragen können, sind gute Definitionen.

Eine Definition, die über die Abgrenzung gegenüber anderen Orientierungen arbeitet, ist genau deshalb problematisch, denn sie zwingt der oder den anderen Orientierungen eine Definition von außen auf.

Wie kann das konkret aussehen?

Es gibt die bekannte und häufig zitierte Definition von Robyn Ochs:

“I call myself bisexual because I acknowledge that I have in myself the potential to be attracted – romantically and/or sexually – to people of more than one gender, not necessarily at the same time, not necessarily in the same way, and not necessarily to the same degree.”

https://robynochs.com/bisexual/

Ich persönlich finde sie sehr gut, aber in manchen Kontexten einfach etwas zu sperrig. Deshalb zwei Kurzdefinitionen für bi und pan:3

Bisexuelle Menschen begehren und/oder verlieben sich in Menschen des eigenes oder eines anderen Geschlechts. 

Pansexuelle Menschen begehren und/oder verlieben sich in Menschen unabhängig von deren Geschlecht. 

Wenngleich sie die Möglichkeit der Veränderlichkeit des Begehrens außen vor lassen, leben beide Definition aus sich selbst heraus, ohne auf die jeweils andere Bezug zu nehmen. Und wenn man partout einen Unterschied ausmachen will, dann könnte er darin bestehen, dass bei bi das Geschlecht des anderen Menschen relevant ist (wofür auch immer), bei pan aber nicht (“gender blindness”).

Aber auch das kann schon wieder problematisch sein, weil es auch Bi’s gibt, bei denen das Geschlecht der Partner*in nicht relevant ist – Paula und Dana von BiBerlin e.V. haben sich hier ihre Gedanken dazu gemacht: Was ist Pansexualität?

Cui bono?

Also warum dann überhaupt drüber streiten, worin sich bi und pan unterscheiden? Wem würde es schaden, wenn wir alle zusammen bi und pan einfach als Synonyme behandeln würden?4

Einen Anhaltspunkt dafür gab mir ein kurzes Gespräch mit einer jungen Frau, die sich am CSD-Stand von Uferlos darüber freute, “ihre Fahne” zu sehen – es lagen auch Aufkleber und Karten mit der Pan-Fahne aus. Ich fragte sie daraufhin, warum sie sich für pan entschieden hätte und wie sie diesen Begriff definieren würde. Der erste Teil ihrer Antwort war genauso unerwartet wie knapp: sie meinte, im Grunde wären pan und bi doch das gleiche und es gäbe gar keinen wirklichen Unterschied.

Diesen Gedanken hatte ich bereits selbst und habe dies auch schon vielfach in persönlichen Gesprächen gehört. Da sich diese Erkenntnis jedoch nicht durchzusetzen scheint, stellt sich die Frage: Wem nützt die Ausdifferenzierung von zwischen bi und pan?

Zum einen sicherlich denjenigen, die in akademischer Detailtiefe jede noch so kleine Nuance sexueller Orientierung sezieren und in immer enger geschnittene Schubladen packen wollen.

Wem es noch nützen könnte, darauf gab mir der zweite Teil der Antwort der jungen Frau einen Hinweis. Sie meinte, bi hätte gesellschaftlich einen schlechten Ruf, während pan leider kaum bekannt sei. Pan somit als Vermeidungsstrategie für bi, weil mit bi zu viele Vorurteile verbunden sind?

Eine weitere Gruppe von Menschen, denen es nützen könnte, wären diejenigen, die sich dabei gut fühlen, wenn sie auf andere herabschauen können, um sich dadurch als “etwas besseres” zu fühlen.5

Alles aber nicht wirklich überzeugend – und keine Rechtfertigung für die Differenzen, die ich immer wieder zwischen bi und pan erlebe.6

Fazit

Also was tun? Ich denke nicht, dass dieser Streit uns als queerer Community irgendeinen Nutzen bringt; weder auf politischer Ebene in der Innen- oder Außenwirkung – noch zum Erkenntnisgewinn. Deshalb wäre mein Wunsch, dass wir alle – egal ob bi, pan, omni oder poly(-sexuell) – mehr auf die Gemeinsamkeiten schauen – denn da gibt es wirklich sehr viele – und miteinander agieren.


  1. Gespräche vor Ort und im Nachgang wurden geführt, insofern will ich die konkrete Situation hier außen vor lassen.
  2. Meine ganz persönliche Erfahrung mit realen Menschen geht hier ins Jahr 2000 zurück.
  3. Diese Kurzdefinitionen habe ich nicht “erfunden”, sondern sie sind eine Zusammenfassung von bisher Gelesenem und Gehörtem.
  4. Das gleiche sehe ich für poly(sexuell) und omni. Da diese beiden Labels nach meiner Beobachtung noch weniger bekannt sind als pan, habe ich mich hier auf pan konzentriert.
  5. Das mag hart klingen, aber ich habe schon Pansexuelle getroffen, die genau diese Überheblichkeit an den Tag gelegt hatten.
  6. Wenn Du einen guten und handfesten Grund für eine Differenzierung hast, der ohne gegenseitige Herabsetzung auskommt, schreibe es gerne in die Kommentare oder schicke es mir per Mail an die Adresse im Impressum.

Ein Gedanke zu „Was sind gute Definitionen von sexuellen Orientierungen – und was hat das mit Bi- und Pansexualität zu tun?“

  1. Mitte der 80’er Jahre, als ich anfing, mich “bisexuell” zu nennen, kannte ich den Begriff “pan” nicht. Wurde er damals schon benutzt? Ich finde heute beides passend und ok.
    Was aber nach meiner Erfahrung zu negativen Reaktionen führt, ist ohnehin nicht der erste Teil des Wortes, sondern der zweite: “sexuell”. Wenn erkennbar wird, dass ich “bisexuell” nicht nur als Selbstverständnis, Identität oder Option verstehe, sondern tatsächlich gleichzeitig sexuelle Beziehungen zu Personen unterschiedlichen Geschlechts habe, jedenfalls manchmal, und das nicht nur eine “Phase” ist (nach über 30 Jahren….), dann ist es mit Sympathie und Verständnis oft schnell vorbei. Das Problem, das zu dem erwähnten “schlechten Ruf” führt, ist meiner Meinung nicht “bi” oder “pan”, sondern erkennbar gelebte Sexualität.

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