Rechtsruck

Letztes Jahr tickerten Bilder durch Facebook, die kurz davor in den USA aufgetaucht waren und die Plünderungen der SA in den 1930er Jahren zeigten. Unter anderem waren Männer in Uniform zu sehen, die Bücher aus einem Haus trugen – sichtlich stolz auf das, was sie taten. Die Bilder sind vermutlich in Fürth aufgenommen worden und bei einem dieser Männer schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass könne mein Großvater sein. Dieser Gedanke ließ mich nicht los, ich wollte es wissen – und nervte meine Schwester und meine Eltern nach Fotos aus dieser Zeit. Ein Bild meines Großvaters in Wehrmachtsuniform zeigt mir ganz deutlich, dass er nicht auf den Plünderungsbildern zu sehen war.

Ich war erleichtert – aber auch wieder nicht, denn mein Wunsch nach Klarheit darüber, wie sich die Generationen vor mir in dieser Zeit verhalten hatten, blieb weiterhin unerfüllt.

Meine Großeltern haben einen Weltkrieg mitgemacht, meine Urgroßeltern zwei. Nie wurde in der Familie ernsthaft darüber geredet, was in dieser Zeit los war. Ich weiß nur, dass eines der Urgroßeltern-Paare in Nürnberg ein Mietshaus mit eigener Gastwirtschaft hatten – und es gibt ein Bild auf dem das gesamte Haus, alle fünf Stockwerke, zu einem der Reichsparteitage mit Hakenkreuzfahnen beflaggt waren. Und wenn mit der jüngsten Großmutter einmal das Gespräch auf die 1930er Jahre kam, dann kam nicht viel mehr als: „es war nicht alles schlecht beim Hitler“ oder „es war eine schöne Zeit beim BDM“. Und dass ein Großonkel Offizier bei der Waffen-SS war. Und der andere Großvater war bei der Reichsbahn und bei Kriegsende in Ostpreußen eingesetzt.

Das alles lässt viel Raum für Mutmaßungen im weiten Feld von Mitläufertum, aktiver Unterstützung bis hin zu glühendem Nationalsozialismus. 

Niemand aus der Generation, die die Nazi-Zeit miterlebt hatte, sprach freiwillig darüber – und ich hatte zu Lebzeiten der Alten nicht den Mumm in den Knochen, die wirklich unangenehmen Fragen zu stellen und hartnäckig zu bleiben. Auch – ja, das muss ich zugegeben – weil alles Vergangenheit war und ich nie auf die Idee gekommen wäre, dies würde noch einmal in Deutschland passieren.

Und jetzt sind wir wieder auf dem Weg dahin. Mit Ausländerfeindlichkeit, Menschenverachtung, Diffamierung von Minderheiten jeder Art, mit Hass auf “die Anderen”, mit Gewalt und Mord. Das noch vor 10 Jahren Unsagbare ist wieder sagbar geworden, kann im öffentlichen Diskurs problemlos unter die Leute gebracht werden. Politiker von sog. „Volksparteien“ schwadronieren darüber, das Soziale und das Nationale wieder versöhnen zu wollen. Es wird mehr Toleranz nach rechts gefordert. Die deutsche Staatsangehörigkeit soll wieder entzogen werden können. Endlos-Haft ohne richterlichen Beschluss ist wieder möglich. Bei Kulturschaffenden soll nach Herkunft durchgezählt werden. Rosa Listen werden gefordert. Menschen fürs Leben retten vor Gericht gestellt. Völkisch-nationalistisches Gedankengut feiert wieder fröhliche Urständ. Unrecht wird wieder Gesetz. Wieder. Die geistigen Brandstifter haben zweifelhaften „Erfolg“, wenn Politiker*innen mit Rückgrat lebensgefährlich verletzt oder – wie kürzlich – ermordet werden.

Das alles bewirkt, dass ich eine gewisse Verantwortung in mir spüre. Verantwortung, dem etwas entgegen zu setzen. Ich bin mir immer wieder unsicher wie genau, was der richtige Weg ist. Was immer besser funktioniert: den Mund aufmachen, wenn jemand in meinem Umfeld rechtslastiges Gedankengut ausspricht. Es ist nicht immer leicht, teilweise fühle ich mich allein gelassen und manchmal lässt die Wut über das Gehörte meine Reaktion kontraproduktiv werden. Aber es wird immer besser, denn – so blöd das klingt – auch hier hilft Übung. 

Bei einigen komme ich auch zu dem Ergebnis, dass ich es mit einem hoffnungslosen Fall zu tun habe. Da bewahrheitet sich dann die Erkenntnis, dass „mit Rechten reden“ nicht lohnt. Sobald aber andere Menschen dabei sind, treibt mich der Gedanke, dass es besser ist, das Gesagte nicht unwidersprochen im Raum stehen zu lassen; dass es besser ist, zumindest zu versuchen, dem verbalen Gift ein Antidot entgegen zu setzen. 

Und dann ist da noch die Frage, wie ich mich verhalten würde, wenn der Rechtsruck weiter gehen sollte, wenn die Blockwarte wieder aus ihren Löchern kriechen; wenn rechtslastige Äußerungen auch in meinem persönlichen Umfeld nicht mehr Ausnahme, sondern Normalität werden sollten; wenn ich von Drohungen und Gewalt nicht nur höre und lese, sondern sie auch in meinem Alltag allgegenwärtig werden.

Diese Gedanken machen mir Angst. 

Angst vor dem, was kommen könnte – aber auch Angst vor mir selbst. Welchen Menschen würde das aus mir machen? Schaffe ich es, Menschlichkeit und Würde zu bewahren? Oder verkrieche ich mich und werde zum stillen Mitläufer?

Und was macht es aus, dass ich einer der Minderheiten angehöre, die völkisch-nationalistische Ideologien immer verfolgt haben und gegen die auch die neuen Rechten wettern? 

Aber es gibt auch die Menschen, die mir zeigen, dass ich nicht völlig verkehrt liege mit meinen Beobachtungen und meinem Handeln – und die, jede*r auf ihre Weise, etwas tun; die nicht aufgegeben.

Deshalb habe ich Hoffnung.

Ein Gedanke zu „Rechtsruck“

  1. Vielen Dank für Deine Offenheit und für das Teilen Deiner Gedanken.
    Ich habe mich vor einiger Zeit intensiv mit meinen Vorfahren beschäftigt und unter anderem versucht herauszufinden, welche Rolle meine Großeltern und Urgroßeltern in den beiden letzten Weltkriegen gespielt haben.
    Von einem Großvater erinnere ich mich noch sehr an seinen Erzählungen, da wurde der Rußland Feldzug mehr wie ein Abenteuer dargestellt, nie wurden die schrecklichen Dinge berichtet, er war sehr offensichtlich auch traumatisiert.
    Meine Meinung ist, wir haben nicht die Verantwortung für das was im Krieg passiert, jedoch die Verantwortung, dass es nicht wieder passiert.
    Daher kann ich Deine Sorgen nachvollziehen, und gerade wenn man selber zu einer Gruppe gehört die diskriminiert wird, besitzt man glaube ich ein besonderes Gespür für Entwicklungen die nicht gut sein können.
    Daher verurteile ich jegliche Diskriminierung und ich sehe mich solidarisch nicht nur im queer Kontext sondern auch mit vielen anderen Gruppen.
    Ich versuche bei gesellschaftlichen Anlässen rechts/konservativen Gedanken entgegen zu treten und ich habe in der Vergangenheit dafür schon viel Gegenwind erhalten.
    Wenn viele die Augen und Ohren aufhalten und dagegen halten, ist schon viel getan.
    Ich hoffe, dass jüngere Generationen wieder offener werden und die Entwicklung sich nicht fortsetzt.

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